Lichtstreif 4 „Briefe“ 2002
Schon immer hatten mich Elfi´s Schrift und ihre Briefe fasziniert. Anfang 2002 fielen mir ihre und viele andere Brief wieder in die Hände, als ich mein Arbeitszimmer aufräumte. Die vielen Brief, besonders die mit dem geschriebenen verbundenen Gedanken veranlassten mich zu dieser Collage. Damit will ich daran erinnern, wie wunderbar es ist, sich an einen Tisch zu setzen, zu überlegen, was man einem anderen Menschen schreibt, ja anvertraut, denn neben den geschriebenen Wörtern lässt sich vieles andere aus der Handschrift lesen und erkennen. Auch die Wahl der Worte, ihre Stellung im Satz und Schreibfehler: Alle die kleinen Details bleiben uns heute meistens verborgen. Nichts mehr über sich preisgeben, sich hinter standardisierten Schriftarten verbergen.
Niemand sollte auf der Collage die Schriften erkennen, nur ich noch und eventuell Annika und Katharina. Deshalb zerschnitt ich die Briefe diagonal zu schmalen Streifen. Es sind alle denkbaren Arten von Briefen enthalten: Briefe von Freunden, Liebesbriefe, Urlaubskarten, Behördenbriefe, Trauerbriefe, Glückwunschbriefe, Geschäftsbriefe …….
Die farbig gestreiften Ränder der Luftpostbriefumschläge benutzte ich, um aufgeklebte Briefstreifenfelder voneinander zu trennen. Die Collage sollte dadurch in die Vielfalt der Briefe aufgeteilt werden.
Dort wo der Briefumschlag eine Briefmarke erhält, ist die Collage mit Marken aus allen Erdteilen der Welt beklebt. Die Marken sind ein Symbol für die Kommunikation rund um die Welt.
Das Anschriftenfeld nimmt die Geschichte einer jungen koreanischen Sozialarbeiterin auf. Als ich 1978 an sehr heißen Tagen in Seoul weilte, um unsere Adoptivtochter abzuholen, traf ich mich mit der Sozialarbeiterin, denn ich wollte mehr über die Menschen wissen, die meine Tochter in den ersten fünf Monaten ihres Lebens begleitet hatten. Wir duften uns nicht im Hotelrestaurant treffen, denn dass wäre in jener Zeit problematisch für die junge Frau gewesen. Also fuhren wir in das geschlossene Diplomatenviertel und aßen Pizza bei einem Italiener. Die Sozialarbeiterin erzählte mir viel über unsere Tochter, aber sprach dann auch viel über ihr Leben in der Koreanischen Gesellschaft. Es stellte sich heraus, dass sie einen Mann heiraten sollte, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte, aber den sie nicht wollte. Wir sprachen über mögliche Reaktionen, um die ungewollte Ehe zu verhindern. Die einzige Möglichkeit schien eine Flucht zu sein.
Aber wie? Nur wenige Menschen hatten einen Pass in Korea, um auszureisen. Das Land war wie eine von hohen Dämmen umgebene Insel. Nur aufgrund einer notwendigen Geschäftsreise war eine Auslandsreise möglich. Diese arrangierte eine amerikanische Hilfsorganisation für die Junge Frau und so reiste sie alsbald in die USA und kehrte nicht nach Korea zurück. Sie heiratete dort und bekam zwei Kinder. Wir haben diesen Weg brieflich begleitet und die Geschichte wird mit dieser Collage leben.
Der Lichtstreif aus marmorisiertem Karton -von unserer ältesten Tochter gefertigt- enthält eine wichtige schriftliche Verpflichtung unserer Familie an meine sterbende Frau, Cornelia, denn selbst der größten Hoffnungslosigkeit darf und muss der Mensch sich stellen und er wird sie meistern.